Wie eine fragwürdige Studie den Ruf einer wissenschaftlichen Institution beschmutzen kann. Auch das zeigt Covid-19.
Chloroquine oder sein Nachbarmedikament Hydroxychloroquine galt in den letzten Wochen als Hoffnungsträger im Kampf gegen die Folgen von Covid-19. Eine Studie über die Wirksamkeit des Mittels – publiziert im anerkannten Wissenschaftsmagazin «The Lancet» – zerstörte auf einen Schlag alle bisherigen Erfolgsmeldungen und den Ruf des «Chloroquine-Professors» Didier Raoult aus Marseille. Der wissenschaftliche Wert der Studie aber ist höchst umstritten und nun kommt der «Lancet» ins Fadenkreuz der Kritik.
«The Lancet» – die Institution
Wikipedia lässt am Wert von «The Lancet» keinen Zweifel: «The Lancet ist eine der ältesten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt, die ein Peer-Review einsetzen. Sie erscheint wöchentlich.» In diesem seit 1826 erscheinenden Hochamt der Wissenschaft erschien letzten Freitag eine Studie (https://www.thelancet.com/pdfs/journals/lancet/PIIS0140-6736(20)31180-6.pdf) mit der Auswertung von 96’032 Chloroquine und Hydroxychloroquin-Dossiers aus 671 Krankenhäusern weltweit.
Vernichtendes Resultat
Das Ergebnis: Die Übersterblichkeit bei Anwendung dieses Medikaments beträgt 34-45%, je nachdem in welchen Kombinationen mit anderen Medikamenten Chloroquine eingenommen wird. Mit anderen Worten: Wer Chlorquine schluckt, geht ein viel höheres Risiko ein zu sterben, als jene, die es nicht nehmen. US-Präsident Trump dürfte seine tägliche Chloroquine-Dossis im Hals stecken geblieben sein. Ob er es seit der Veröffentlichung der Studie weiter nimmt, ist nicht bekannt.
Widerstand von 200 Wissenschaftlern
Doch jetzt haben sich gegen 200 Ärzte und Forscher mit einem Brief an den Chefredaktor von «The Lancet» zu Wort gemeldet. Darunter sind anerkannte Kapazitäten von Harvard bis zum Imperial College in London. Sie bezweifeln die hohe Anzahl von 96’000 wissenschaftlichen Untersuchungen im Zusammenhang mit Covid-19 in einer solch kurzen Zeit.
Es gäbe keinen einheitlichen Fragebogen, die einzelnen Codes seien nicht bekannt und darum Zweifel an der identischen Auswertung der Dossiers aus den USA, Australien und Afrika. Die verabreichten Dosen unterscheiden sich von Land zu Land. Zum Teil scheinen absurd hohe Mengen verabreicht worden zu sein. Für Australien seien zum Beispiel mehr Tote in den Studien vermerkt, als die Regierung im ganzen Land registriert hat. Die Anteile von Rauchern oder Diabetikern seien von Kontinent zu Kontinent – von Amerika bis Asien – erstaunlicherweise praktisch identisch. Ausserdem sind die beteiligten Spitäler nicht bekannt und die Autoren weigern sich, die Liste herauszugeben.
Die Briefunterzeichner fordern eine unabhängige Auswertung der Covid-19-Choloquine-Dossiers und eine einheitliche wissenschaftliche Studie mit Vergleichsgruppen – mit Chloroquine und Placebo.
Schlag für Professor Raoult
Doch die französischen Gesundheitsbehörden warteten nicht lange. Sie verboten aufgrund der Lancet-Studie per sofort die Anwendung von (Hydroxy)-Chloroquine. Für Professor Didier Raoult aus Marseille, Spezialist für infektiöse Krankheiten und Direktor des Spitals IHU (Institut hospitalo-universitaire) in Marseille ist das ein schwerer Schlag. Raoult war es, der Chloroquine als effizientes Medikament ins Spiel brachte und sagte, dass die Industrie dieses Medikament nicht wolle, weil es zu billig und zu wenig profitabel sei.
In Frankreich gibt es ein Pro- Raoult -Lager mit vielen Patienten, für die er der neue Messias ist und einem Anti- Raoult -Lager mit Ärzten aus dem Grossraum Paris, die vom bunten Hund aus Südfrankreich nichts halten.
Viele der Wissenschaftler taten sich schwer mit dem Unterzeichnen des offenen Briefes an «The Lancet». So erkläree Philippe Froguel vom Universitätspital in Lille: «Ich möchte nicht einfach als Raoult-Anhäger dastehen. Aber der Artikel im Lancet ist sehr problematisch.» Und Francois Balloux, Professor an der College Universität in London schreibt: «Es ist keine Frage des Pro oder Contra Chloroquine Lagers, sondern ganz einfach eine Frage der Transparenz.»
Als Reaktion auf den Brief hat «The Lancet» von den Autoren «Präzisierungen» verlangt.
Autor: Mario Aldrovandi
(Quellen: https://www.thelancet.com/, https://www.francetvinfo.fr/, https://www.liberation.fr/, https://www.huffingtonpost.fr/, www.figaro.fr )