Ukraine Aktuell Nr. 508 (16.7.23/20Uhr)

DAS PRIGOSCHIN NETZWERK (Teil1)

Über die Ziele und Ideen von Jewgeni Prigoschin, bekannt als «Putins Koch» und Financier der Söldner Firma «Wagner PMC» wird viel gerätselt, doch wenig ist bekannt und belegt. Dies ist nicht erst seit der chaotisch beendeten Meuterei gegen Putin der Fall.

Eine bis heute anonyme Hacker-Gruppe ist im Besitz von mehr als einer Million Dokumente, welche sie im Herbst 2022 aus der Computer-Infrastruktur der Firmen von Jewgeni Prigoschin während Monaten abgezogen hat.

Diese Dokumente wurden danach an Journalisten von «Die Welt», «Paris Match», «Insider» (Russland), Arte (Deutsch-Französisch) und Dossier Center weitergeleitet.
Ich zitiere hier einen ganz kleinen Teil aus der umfassenden, mehrseitigen Berichterstattung des Dossier-Centers: https://dossier-center.appspot.com/prig-it/

VIELFALT DES IMPERIUMS

Die Dokumente berichten aus dem Innenleben von Prigoschins Geschäftsimperium. Dies umfasst neben der Söldnerfirma «Wagner PMC» und der Troll-Fabrik «Lakhta-Projekt» weitere Aktivitäten.

Dazu gehört die Verpflegung von russischen Schulen und der Armee, das Bauwesen, Hotelbetrieb, Schokoladenhandel, Mediengeschäft, Abbau von Gold, Diamanten, Öl und anderen Mineralien, internationale Politikberatung, Fleischverarbeitungsanlage im afrikanischen Dschungel oder Autowäsche.

FLEXIBEL UND ORGANISCH

Oft wird nur ein Aspekt beleuchtet, obwohl sie alle organisch miteinander verbunden sind: Verwundete Wagner-Kämpfer erholen sich in einem Erholungszentrum in Gelendschik; Beamte des russischen Verteidigungsministeriums erhalten Rabattkarten für das Eliseevsky-Geschäft; «Lakhta-Trolle»sitzen in einem von Prigoschins Unternehmen errichteten Gebäude und werben von dort aus bei einem internationalen Publikum für PMC-Dienste.

Heute beraten Prigoschins Anwälte und Finanziers Konzessionsverträge in St. Petersburg, morgen in Antananarivo (Madagaskar) oder Bangui (Zentralafrikanische Republik).

Dasselbe geschieht bei Wahlen: Mit denselben Technologen werden Aufträge für Politikinteressierte in St. Petersburg, Moskau, Tula, Kiew, Tripolis, Maputo und Kapstadt ausgearbeitet.

Die Mitarbeiter wechseln regelmäßig von Projekt zu Projekt: Wer gestern noch Möbel für die Wohnung von Prigoschins Tochter aussuchte, kauft heute über das Moskauer Reisebüro «Zelenski Corporate Travel Solutions» Tickets nach Teheran oder Portugal für Prigoschins Mutter Violetta (Mädchenname Khokhlova), und morgen führt er vielleicht Filtrationsverfahren in einer eroberten ukrainischen Stadt durch.

Gerade wegen dieser fliessenden Struktur funktionieren die Sanktionen gegen Prigoschins Projekte nicht gut. Die von aussen erscheinende Unabhängigkeit und die anscheinend nicht koordinierten Aktionen werden im Innern von Prigoschins Pilzgeflecht durch ein zentralisierte Informationssysteme zusammengehalten.

PRIGOSCHINS IT-MITARBEITER

Die meisten IT-Spezialisten arbeiten in der «Troll Factory», der zentralen Firma «Concord» und für das soziale Netzwerk «YaRus».

Im Herbst 2021 beschäftigte die IT-Abteilung der «Troll Factory» etwa 40 Personen als Projektmanager, Systemadministratoren, Backend- und Frontend-Entwickler, Webdesigner und Tester. Hinzu kamen rund 400 Mitarbeiter, welche die Inhalte der Trollfabrik erstellen (dazu mehr in Teil 2).

Obwohl die Mitarbeiter der Troll Factory an denselben Projekten arbeiten, sind sie bei verschiedenen juristischen Personen angestellt. Dafür hat Prigoschin verschiedene Medienfirmen: NovInfo, Nevskie Novosti, Economy Today, der Federal News Agency (FAN), MAN LLC und andere.

Zusätzlich zu den IT-Spezialisten für die «Trollfabrik» beschäftigte die zentrale IT-Abteilung im Jahr 2022 mehr als 40 Systemadministratoren und Spezialisten für das Buchhaltungssystem «1C».

Prigoschin braucht so viele 1C-Spezialisten, weil er etwa 400 verschiedene Unternehmen verwaltet – juristische Personen mit Mantel und echte Unternehmen mit doppelter Buchführung (offiziell für die Steuerbehörden und echt für die interne Buchhaltung).

Nachdem Prigoschin beispielsweise 2015 einen Auftrag des Verteidigungsministeriums für die Wartung von Dutzenden von Militärlagern erhalten hatte, erhielten mehr als 360 Nutzer aus verschiedenen regionalen Abteilungen der Slawjanka AG und der Staatlichen Verwaltung für Wohnungswesen und Versorgungsbetriebe Fernzugriff auf das «1C» in St. Petersburg. Es war fast unmöglich, die Scheinfirmen von den echten Firmen zu unterscheiden.

SCHWARZARBEIT FÜR 400 FIRMEN

Fast die Hälfte der IT-Mitarbeiter arbeitet schwarz, ohne Arbeitsbuch. Auch offiziell registrierte Mitarbeiter erhalten laut Buchhaltungsunterlagen oft 40-60 % ihres Gehalts in Umschlägen.

Qualifizierte Fachkräfte können Prigoschins spontanem Mikromanagement und Unhöflichkeit kaum standhalten – viele zogen schon vor Kriegsbeginn in «unfreundliche» Länder.

Die IT-Spezialisten arbeiten nicht nur für die «Troll Factory», «Wagner» und «YaRus», sondern abwechselnd auch für Projekte und Firmen, unter anderem: Schulcatering, Eliseevsky, Russische Armee, Street Food Bar, Ampire, River Palace 1+2, Kabinett 1137, River Lounge 1+2, RGO Catering, Teplokhod Sochi, Schokoladenmuseum, Chalet, AUP Immobilienabteilung, Tech. Reparatur, Hotel, Combinats (Yanino, Klenovo), Social Catering Moskau usw.

QUALIFIKATIONEN UND AUSWAHL

Die Arbeitsbiografien der IT-Mitarbeiter sind höchst unterschiedlich. Es gibt sowohl begabte Mitarbeiter, Postgraduierte aus Programmierprogrammen und ehemalige Stipendiaten der Oxford Russian Foundation, aber auch ehemalige Buchhalter die sich in kurzfristigen Online-Webdesign-Kursen weitergebildet haben, was man dann auch den von ihnen entwickelten Webseiten ansieht.
Einige haben Militärdienst-Erfahrung, unter anderem beim GRU (militärischer Geheimdienst).

HACKATTHON AUF AMAZON SERVERN

Prigoschin ist an besser qualifizierten Mitarbeitern in den IT-Abteilungen interessiert. Seine aggressive PR-Kampagne nach Kriegsbeginn hat dazu beigetragen, das Image des Unternehmens in den Augen der jüngeren Generation von IT-Studenten in St. Petersburg zu verbessern.

So veranstaltete Prigoschin Ende Dezember 2022 einen Hackathon der «Wagner PMC» an dem talentierte Programmierer teilnahmen.

Der Hackathon war der Drohnenprogrammierung gewidmet und diente der Rekrutierung neuer Mitarbeiter. Diese benötigt Wagner nicht nur für den Krieg in der Ukraine. Seine Söldner setzen seit mehreren Jahren Drohnen und Quadrocopter in Syrien und der Zentralafrikanischen Republik ein.

Trotz der Sanktionen wurde die Website des Hackathons auf dem cloudbasierten AWS-Hostingdienst von Amazon gehostet und erst nach Beschwerden von Aktivisten gesperrt.

LÜGENDEDEKTOR

Alle potenziellen Mitarbeiter, auch wenn sie in Restaurants arbeiten, werden einem obligatorischen zweistündigen Verhör mit dem Lügendetektor Diana-07 unterzogen. Damit sollen potenziell illoyale oder gefährliche Personen für Prigoschin identifiziert werden. Ausgesondert werden Anhänger der Opposition, Personen mit Kontakten zu Medien und Strafverfolgungsbehörden, Drogenkonsumenten und Schuldner.

Nach dem Beginn des Krieges wurde zum Standartprogramm die Frage nach der Einstellung zur «militärischen Spezial Operation» aufgenommen.

Stellt sich heraus, dass eine Testperson Gefühle gegenüber dem Krieg oder ukrainischen Verwandten hegt, wird sie vom Sicherheitsdienst abgelehnt, selbst wenn sie die Zustimmung ihrer potenziellen Vorgesetzten hat.

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