DAS LEBEN IN NIKOPOL
Von Nikopol ist in den Nachrichten aktuell kaum die Rede. Die mittelgrosse südukrainische Stadt mit 120’000 Einwohnern vor dem Krieg, liegt nahe bei Saporischja und dem dort stationierten grössten Atomkraftwerk Europas (ZAP). Nikopol ist betroffen von der Wassernot nach der Sprengung des Kachovka Staudamm. Nikopol wird, als Teil der Region Dnjepropetrovsk immer wieder von Putins Armee beschossen.
Doch Nikopol lebt und davon berichtet der Blogger @shicurin.
Ich bin nach Hause zurückgekehrt. Bitte schauen sie sich meinen Thread über den aktuellen Stand der Dinge in Nikopol an. Bitte verbreiten Sie die Nachricht so weit wie möglich, da in den Medien wenig über uns gesprochen wird und die Situation nicht einfacher wird.
DAS ATOMKRAFTWERK
Niemand weiss, was als nächstes passieren wird. Ob das ZAP explodiert oder nicht. Nikopol bereitet sich auf die schlimmste Entwicklung vor. In den Bezirken Nikopol und Kryvorizka fanden Ende Juni Übungen statt. Dabei wurde der Handlungsspielraum erarbeitet, den wir im Falle eines Terroranschlags haben.
Die Übung wurde in Siedlungen durchgeführt, die potentiell gefährdet sind, also rund 50 km vom Kernkraftwerk entfernt. Es wurden Evakuierungsübungen durchgeführt, Beobachtungspunkte eingerichtet und der Strahlungshintergrund überwacht. Die örtlichen Behörden tun ihr Möglichstes, damit sie im Fall der Fälle schnell reagieren können.
Für die Menschen ist es schwieriger. Ein grosser Teil, nämlich die ältere Bevölkerung, glaubt entweder nicht an einen möglichen Terroranschlag oder hat überhaupt nicht vor, das Land zu verlassen. Sie sagen, dass sie ihr Haus nicht im Stich lassen.
Junge Menschen und Menschen mittleren Alters versuchen, an das Beste zu glauben. Gleichzeitig bereiten sie sich auf eine Evakuation im Notfall vor.
STÄNDIGER BESCHUSS
Wir werden täglich beschossen. Praktisch durchgehend und manchmal in Wellen. Durch die Luft fliegen Granaten und manchmal S-300 Raketen. Manchmal fliegen auch nur Platzpatronen durch die Stadt.
Den Russen ist es schon lange egal, worauf sie schiessen sollen.
Buchstäblich jeden Tag haben ein oder mehrere Bewohner von Nikopol ein beschädigtes oder zerstörtes Haus.
Während der ersten sechs Monate des Beschusses verließ der Großteil der Bevölkerung die Stadt. Das waren vor allem junge Leute. Übrig blieben nur die, welche nirgendwo hingehen können oder ihre ihre Arbeit, ihr Zuhause oder ihre Verwandten nicht verlassen können.
Derzeit lebt weniger als die Hälfte der Bevölkerung in der Stadt. Viele von ihnen sind im Frühjahr zurückgekehrt.
PLÜNDERUNGEN
Ganz schwierig ist die Situation wegen Plünderungen. Viele ältere Menschen, die alleine zu Hause bleiben und sich nicht schützen können, verlieren Dinge. Sie werden von Dieben bestohlen, die in der Nacht einbrechen oder wenn sie nicht zuhause sind.
Es gibt ganze private Wohnstrassen, die davon betroffen sind.
REPARATUREN
Jedes Mal, wenn ein Haus beschädigt wird, beginnen die Menschen fast sofort mit der Restaurierung. Die Behörden stellen OSB-Platten zur Abdeckung zerbrochener Fenster zur Verfügung. Einige Häuser wurden schon mehrfach getroffen und so mussten die Platten schon mehrfach ausgetauscht werden.
Die Behörden versprechen, bei den Schäden zu helfen. Aber die Leute restaurieren alles auf eigene Kosten. Wenigstens die, welche sich das leisten können.
HUMMANITÄRE HILFE
Es gibt humanitäre Hilfe. Aber es gibt weniger Pakete als früher und so erhalten weniger Menschen diese Unterstützung.
Menschen, die zu einer gefährdeten Bevölkerungsgruppe gehören, erhalten jeden Monat Lebensmittelpakete. Binnenvetriebene, als Flüchtlinge aus anderen Regionen, erhalten Bargeldhilfe.
Bisher konnten alle Einwohner der Stadt Hilfe erhalten. Bisher haben alle irgendwann Hilfe erhalten.
WIEDER ETWAS WASSER
Seit über einem Monat gibt es in der Stadt keine zentrale Wasserversorgung mehr. Das hat mit den Explosionen beim Wasserkraftwer Kachovskaja zu tun.
Die Wasserversorgung wird nach und nach in den Siedlungen des Bezirks Nikopol wiederhergestellt. Aber es einige Zeit dauern, weil die Russen mit ihrem Beschuss sehr störend sind.
In der Stadt wurden mehr als 25 Trink- und Brauchwasserausgabestellen eingerichtet. Dort können die Menschen bis zu 20 Liter pro Person beziehen. Darüber hinaus erhalten gefährdete Bevölkerungsgruppen Wasser in Flaschen.
NIKOPOL LEBT
Die Lage in der Stadt ist schwierig, aber unter Kontrolle. Nikopol ist wirklich eine Stadt unbezwingbarer Menschen: Denn trotz ständigem Beschuss, Wasserproblemen und der Gefahr durch das Kernkraftwerk gehen sie weiterhin an die Arbeit und suchen nach Gründen, glücklich zu sein.
Nikopol bleibt standhaft.