MACROS EINSAMER WEG

Wenn es heute in Paris zu den härtesten Strassenschlachten seit vielen Jahren kommt, dann ist das nur das Ergebnis einer langen Geschichte.

Sie begann Ende 2019. Emmanuel Macron, Frankreichs Staatspräsident, wollte, mit einer satten Parlamentsmehrheit im Rücken, die versprochene Rentenreform durchziehen. Er wollte realisieren, was seine sozialistischen und bürgerlichen Vorgänger während Jahrzehnten verpassten: Rentenalter 65, Schluss mit 42 verschiedenen Rentensystemen und mehr Gerechtigkeit. Macron suchte die Unterstützung der reformerischen Gewerkschaften CFDT, damit diese nicht mit der kommunistischen CGT auf die Strasse geht.

Mitten in diese Beratungen platze Anfang 2020 der Corona-Virus. Dieser legte alle politischen Beratungen still. Von da an galt nur noch: Retten der Wirtschaft, egal was es kostet («quoi qu’il en coûte»).

Als Macron im Herbst 2022 auf die Rentenreform zurückkam, die er auch in seinem zweiten Wahlkampf versprochen hatte, war Frankreichs politische Landschaft eine ganz andere. Für seine zweite Amtszeit hat Macron nur noch eine schwache Basis.

DER GESCHWÄCHTE MACRON

Macrons Partei ist zwar immer noch die stärkste Kraft im Parlament, aber er hat nicht mehr die Mehrheit. So wurde die Rentenreform verwässert. Damit die CFDT und bürgerlichen «Republicains» die Reform unterstützen, wurde ein schlechteres Gesetz als 2019 formuliert mit einem Rentenalter von 64 Jahren statt 65 Jahren.

Doch es zahlte sich nicht aus. Die CFDT liess sich nicht überzeugen und marschiert seit Wochen gemeinsam mit der CGT. Die «Republicains» wollten unter ihrem windigen Parteichef Éric Ciotti – ein politischer Freund des Rechtsextremen Éric Zemmour – die Reform nicht unterstützen, obwohl sie selber die Pension mit 65 fordern.

Macron blieb, um die Reform retten, nur der Rückgriff auf den von General DeGaulle eingeführten Notstandsartikel 49.3. Diese wurde seit 1959 schon 100 Mal von rechten und linken Staatschefs angewendet und schon 10 Mal von Macrons-Regierung, aber dieses Mal, war es das eine Mal zuviel.

Seither brennt in Frankreich die Lunte. Und jetzt geht es nicht mehr allein um die Rentenreform. Es geht um Macron. Er wurde erfolgreich zur Hassfigur hochstilisiert, von den extremen Parteien, populistischen TV-Stationen wie C8 und seinen politischen Gegnern im Parlament. Aus Macrons Offenbarung «Ich bin die Lösung für die Probleme» wurde «Macron ist das Problem».

FAKTEN SPIELEN KEINE ROLLE

Macron wird im TV und bei Strassenumfragen vorgeworfen, dass er sich nicht um das Volk kümmere, keine Ahnung vom Volk habe, ein «Pyromane» sei und schliesslich eben nichts anderes als ein ehemaliger Banker der jüdischen Bank Rothschild.

Der latente Antisemitismus ist in Frankreich nicht neu. Neu hingegen ist, dass Tatschen keine Rolle mehr spielen.

Frankreich hat die tiefste Arbeitslosenrate seit mehr als 15 Jahren. Dies ist eine direkte Folge der Arbeitsmarktreform von Macrons Regierung. Frankreich hat mit 6.3% Teuerung im Februar eine tiefere Teuerung als zum Beispiel Deutschland mit 8.7%. Das ist die Folge der Anti-Inflationsmassnahmen der Regierung, wie Gutscheine für Strom, Gas und Autotreibstoff oder die Verpflichtung der Grossverteiler für einen Korb an Grundnahrungsmittel die Preise zu blockieren.

Macron wurde nicht kritisiert, als er während der Corona-Krise das Geld mit beiden Händen ausgab, um die Wirtschaft und die Arbeitsplätze zu retten. Doch diese Grosszügigkeit erhöhte den Schuldenberg des französischen Staates auf 3 Billionen Euro. 2015 waren es noch 2 Billionen Euro.

Jetzt, wo der Staat mehr Schulden hat, als sein Bruttoinlandprodukt jährlich erschaffen kann, sagt Macron «Stopp» und bezeichnet seine Rentenreform als «verantwortungsvoll». Die Opposition ignoriert das. Genauso wird ignoriert wird, dass Frankreich ein Rentenalter von 62 Jahren und in Extremfällen sogar von 52 Jahren hatte, während im umliegenden Ausland 66 und 67 Jahre zur Norm werden.

Macron richtete sich schon mehrere Male mit Reden an das französische Volk. Er erreichte die Leute nicht mehr, egal wie bescheiden und einsichtig er sich gibt oder wie entschlossen er auftritt. Macron könnte sich auf den Kopf stellen und ihm würde vorgeworfen, dass er das nur tue, um seine teuren Schuhe zu schonen.

PROFITEURE GANZ LINKS UND RECHTS

Von links zündelt Jean-Luc Mélenchon. Der 71-jährige Anführer von «La France Insoumise» (das unbeugsame Frankreich) sagt, dass mit höheren Einkommens- und Eigentumssteuern die Rente mit 60 Jahren zu finanzieren sei. Mèlenchon’s Parole: «Ich habe nichts dagegen, wenn die Reichen nichts mehr haben.»

Für die Gewerkschaften, die nur noch 10% der Arbeitnehmer organisieren, ist der Kampf gegen die Reform und Macron eine Überlebensfrage. In erster Linie mobilisiert die Gewerkschaft CGT. Deren Generalsekretär, Philippe Martinez, nahm heute zum letzten Mal an einer Demo teil, denn der 61-jährige wird pensioniert.

Aus der rechtsextremen Ecke fordert LePens Partei ebenfalls ein Rentenalter von 60 Jahren. Dies sei zu finanzieren. Man müsse nur, so der rassistische Vorschlag, die Sozialabgaben an Ausländer beenden, das ergäbe genug Geld für ein tieferes Rentenalter.

Ansonsten hält sich die von Moskau finanzierte Partei zurück, geht nicht auf die Strasse, aber profitiert vom Chaos. Gemäss der aktuellen Umfrage des «Journal du dimanche» würden heute 26% der Franzosen einem Politiker von LePens Partei die Stimme geben. Im November waren es noch 21%.

Gleich hoch wäre die Zustimmung zu einem Kandidaten der vereinigten Linkten – zusammengesetzt aus Linksextremen, Sozialisten und Grünen. Aber diese Zahl ist in den letzten Monaten nicht gewachsen. Demgegenüber sank die Zustimmung zu einem Kandidaten der regierenden Partei von 27% auf 22%.

«IL VEUT TENIR QUOI QU’IL EN COÛTE»

Macron wolle durchhalten, egal was es kostet. Dies ist der aktuelle Vorwurf an den Staatspräsidenten. Er gehe die Wette ein, dass sich die Proteste legen würden, sagten politische Analysten auf verschiedenen Kanälen und bezweifeln gleichzeitig, dass diese Rechnung aufgeht.

Emmanuel Macron kann die verbleibenden vier Jahre als Staatspräsident allein durchhalten, dank der präsidialen Hebel, die aus ihm einen halbdemokratischen Monarchen machen. Aber Macron würde besser überleben, wenn er eine «Koalition der Vernunft» schmieden würde.

In dieser Koalition könnten der ehemalige Ministerpräsident Édouard Philippe mit seiner Partei «Horizons» sein. Zudem ein Drittel der «Republicains», das Macron bisher nicht in den Rücken gefallen ist. Koalitionspartner könnten auf der linken Seite der ehemalige Präsident François Hollande und Carol Delga, sozialistische Präsidentin der Region Okzitanien, sein.

Auch in der grünen Partei gibt es mit Yannick Jadot ein möglicher Partner.

Aber eine solche Koalition zu schmieden ist in der zerklüfteten politischen Landschaft Frankreichs, die von den Extremen von links und rechts dominiert wird, eine Herkulesaufgabe.

DIE JUNGEN VERLASSEN MACRON

Die Schimpftiraden mögen Macron unberührt lassen. Was ihm aktuell aber wegbricht, ist die Unterstützung von jungen Menschen. Er, der vor 6 Jahren auf einer jungen Welle in den Élysée-Palast surfte, verliert die Unterstützung der unter 20-jährigen in grossem Umfang.

Einige von ihnen haben sich im sogenannten «Schwarzen Block» organisiert. Dabei handelt es sich um Revolutionäre Antikapitalisten, welche in militärischen Formationen in Demonstrationen auftreten.

Am letzten Samstag waren es 1’000 schwarzvermummte Personen, verstärkt von schwarzen Blöcken aus Italien, Deutschland und der Schweiz, die bei einer Umweltschutz-Demo im ländlichen Sainte-Soline auftauchten. Bewaffnet mit Äxten, Molotov-Cocktails und 700 Gramm schweren Pétanque-Stahlkugeln gingen sie auf Konfrontationskurs mit den französischen Polizisten, unter anderem den Spezialeinheiten der CRS.

Viel mehr als im Schwarzen Block organisieren sich in den Städten die Schüler und Studenten zu Demonstrationen, die jeden Abend via soziale Medien flexibel organisiert werden.

Dabei kommen Container in Brand und Scheiben gehen zu Bruch. Diese Demonstranten haben vom Schwarzen Block gelernt. «Pas de Casseurs, pas de vingt heures» (Ohne Krawall und Sachbeschädigung gibt es keine Tagesschauberichte).

Der französische Innenminister beschimpfte die Jungen, die oft aus gutem Haus stammen, als «Bourge Black Block», als bürgerlicher Blackblock. Zur Beruhigung der Lage hat das nicht beigetragen. Auch heute nicht.

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