EIN BLICK AUF PUTINS SOLDATEN
«Tatarigami» lautet der Twittername eines ukrainischen Offiziers, der zurzeit nicht mobilisiert ist und dessen Einträge nach meinen bisherigen Erfahrungen glaubwürdig sind.
Tataragami hat mehr als hundert Telefongespräche und Chatverläufe russischer Soldaten und Offiziere analysiert. Das Material stammt von den Mobiltelefonen toter russischer Soldaten und aus Verhörprotokollen von gefangenen Armeeangehörigen.
Das ausgewertete Material ist vielleicht nicht repräsentativ, zeige aber auffällige Gemeinsamkeiten auf, schreibt Tatarigami:
Es mag überraschen, aber die Soldaten diskutieren andere Themen als diejenigen, die im russischen Fernsehen verbreitet werden. Bei den Gesprächen geht es weniger um die angebliche Bedrohung durch die NATO oder die Entnazifizierung, den Weltkrieg oder andere Formen der patriotischen Propaganda.
Stattdessen ist dieser Krieg für viele Soldaten und Offiziere nur eine Quelle des finanziellen Gewinns. Es wird dabei keine Rücksicht genommen auf die unmoralischen Handlungen, die dabei begangen werden.
ALLTAGSTHEMEN
Hier die Liste der Hauptthemen, über die sich die Teilnehmer an Putins Feldzug regelmässig unterhalten. Die Liste hat keine bestimmte Reihenfolge:
• Ausbau der Wohnung zusammen mit dem Ehepartner, Pläne für einen Wohnungstausch und die Vergrößerung der Räume;
• Anschaffung neuer Möbel, Heimelektronik, Smartphones;
• Kauf von Autos für sich selbst oder den Ehepartner;
• Abzahlung von Hypotheken, Autokrediten oder ähnlichen Schulden;
• Abzahlung von Unterhaltsschulden für Kinder;
• Sparen von Geld, um mit der Familie Urlaub am Meer zu machen.
Viel besprochen wurde, wie man einen «Veteranenausweises» ergattert, um für den Rest des Lebens staatliche Leistungen zu erhalten.
Es entsteht der Eindruck, dass eine beträchtliche Anzahl von Soldaten den Krieg als eine Gelegenheit ansieht, Geld zu verdienen. Oft unterhielten sich die Soldaten zwanglos über ihre erwarteten finanziellen Gewinne aus dem Krieg.
GELD STEHT IM VORDERGRUND
Nachfolgend ein leicht bearbeitetes Gespräch, das diese Einstellung verdeutlicht:
«Seit drei Tagen beschiessen wir die Khokhol (ethnisches Schimpfwort für Ukrainer, vergleichbar mit «Tschingg» gegenüber Italienern in der Schweiz) in der Stadt. Wenn wir ihnen bald den Garaus machen, hoffe ich, dass unser Kommandeur mich bis zum Sommer nach Hause gehen lässt. Mit meinem Gehalt sollte ich genug Ersparnisse haben, um uns ein neues Auto zu kaufen und ans Meer zu fahren.»
Interessanterweise vermischen sich diese Gespräche manchmal mit Diskussionen über Gehaltsfragen. Oft wundern sich die Soldaten, warum sie ihre Vergütung nicht erhalten haben oder warum sie weniger als erwartet erhielten.
KAUM KRITIK AM KRIEG
Es ist irreführend zu behaupten, dass mobilisierte Soldaten Opfer des Krieges sind und keine Wahl hatten. Aus Gesprächen unter Soldaten geht hervor, dass nur wenige Kritik am Krieg selbst äussern.
Stattdessen konzentriert sich die Kritik auf die wahrgenommene Inkompetenz des Kommandos oder auf den vermeintlich unzureichenden Einsatz von Gewalt, um zu gewinnen.
Einige glauben, dass sie «aufhören sollten, herumzuspielen» und einfach ganze Städte zerstören oder Atomangriffe durchführen sollten, damit sie früher nach Hause gehen können.
«Tatarigami» schreibt zum Schluss: Behalten Sie das im Hinterkopf, wenn sie Ihnen die Geschichte vom «wir haben nur die Befehle befolgt» erzählen.
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Quelle: https://twitter.com/Tatarigami_UA/status/1632978756250882050
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DROGEN UND SELBSTVERLETZUNGEN
Einen anderen Aspekt beleuchtet der amerikanische Militärblogger «ChrisO-wiki». Er ist auf einen Eintrag eines russischen Militärblogs gestossen, in dem die Situation an der Front beleuchtet wird.
Russische Soldaten an der Front in der Ukraine nehmen Drogen zu sich, die sie zum Teil selber herstellen, um mit dem Kampfstress fertig zu werden. Auch wird versucht, sich aus dem Kampf zu befreien, indem sie sich verletzen. Aber Militärärzte liessen sich nicht täuschen und würden keine Bestechungsgelder annehmen.
Der Telegrammkanal «People of Baikal» hat einen Bericht der Frau eines mobilisierten Mannes aus Ust-Kut in der russischen Region Irkutsk veröffentlicht. Ihr Mann wurde im Oktober 2022 mobilisiert und nach einer Ausbildung in Russland zu einer Sturmbrigade in die «Volksrepublik Luhansk» geschickt.
Seine Frau Irina sagt: «Fast jeder dort ist geschockt. Sie werden ununterbrochen aus der Luft bombardiert. Soldaten werden ohne Panzer in die Schlacht geworfen und sie gehen tatsächlich mit Maschinenpistolen und Granaten auf das Schlachtfeld. Die Verluste sind hoch.»
DROGENKONSUM
Der Ehemann und seine Kameraden schlafen in den Kellern verlassener Häuser oder in Unterständen, wo viele von ihnen Drogen nehmen. Sie kochen die Drogen in ihren Schlafplätzen. Wie die Wirkstoffe an die Front gelangen, ist unklar.
Irinas Ehemann sagt: «Es ist ein chaotisches Durcheinander. Ich wollte in den Krieg, aber das ist eine Art beschissene Situation». Nach seinen Angaben sind die Soldaten «für buchstäblich alles verantwortlich – Sturm, Kommunikation, Aufklärung, Munitionstransport und Verwundete.
Und das Komische ist, dass die örtliche Militärpolizei ständig versucht, sie zu kontrollieren und sogar Geldstrafen für geringfügige Verstösse verhängt. Aber niemand berührt Drogenabhängige.»
SELBSTVERLETZUNGEN
Laut Irinas Ehemann versuchen russische Soldaten, sich zu verletzen, um von der Frontlinie ins Krankenhaus zu gelangen.
«People of Baikal» berichtet zum Beispiel: «Sie treiben rotglühende Splitter von Mörsergranaten in ihre Knochen». Die russischen Mediziner sind jedoch mit solchen Tricks vertraut und können selbst zugefügte Wunden von Kampfverletzungen unterscheiden.
In solchen Fällen lehnen sie jeden weiteren Krankenhausaufenthalt ab. Irina sagt, dass es unmöglich ist, durch List oder Bestechung aus der Front zu kommen.
«Bestechungen von Ärzten funktionieren nicht. An der Front gibt es kein Problem mit Geld, das Hauptproblem ist der Mangel an Männern, die mit einer unglaublichen Geschwindigkeit verloren gehen».
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Quelle: https://twitter.com/ChrisO_wiki/status/1632824021493469186
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