Zum ersten Mal in der Geschichte der französischen Linken haben sich vier linke und umweltschutzorientierte Parteien zu einem Bündnis gefunden.
Die linksradiale Bewegung «la France insoumise» (unbeugsames Frankreich) von Jean-Luc Mélenchon, die «Sozialistische Partei», die «Kommunistische Partei» und die «Grünen» treten gemeinsam als NUPES «Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale» (Neue Volksfront für Umweltschutz und Soziales) bei den Parlamentswahlen im Juni an.
Für die Sozialisten, welche im schweizerischen Vergleich eher Sozialdemokraten sind, wird dieses Bündnis zu einer Zerreisprobe und vielleicht zum Ende ihrer Geschichte.
Für Jean-Luc Mélenchon und die radikale französische Linke ist es eine historische Chance.
FRANKREICHS DEMOKRATIE
In Frankreich sind einige demokratische Prozesse auf den Kopf gestellt.
So wird zum Beispiel in Deutschland zuerst das Parlament gewählt. Aus dem Stärkeverhältnis dieser Wahl ergibt sich, welche Partei die Regierung bilden kann. Diese verhandeln dann in verschiedenen Kombinationen, bis sich eine stabile Mehrheit findet, die dann vom Parlament bestätigt wird.
In Frankreich läuft das umgekehrt. Hier wird zuerst der Präsident gewählt. Da er mit viel Macht ausgestattet ist, bestimmt er alleine die Minister seiner Regierung, inklusive den Premierminister (Chef der Regierung). Erst ein paar Wochen später wird das Parlament gewählt.
Liegt die Mehrheit auf dem Kurs des Präsidenten, kann dieser mit seiner Regierung durchregieren. Ist die Mehrheit gegen den Präsidenten wird das Regieren komplizierter.
NOCH KEINE NEUE REGIERUNG
Aus den beiden Wahlgängen vom 10. April und 24.April ging der «Zentrum»-Politiker Emmanuel Macron als Sieger hervor. Er wurde an diesem Samstag zum zweiten Mal als Präsident Frankreichs vereidigt.
Frankreichs Regierung unter Premierminister Jean Castex hat schon mal vorsorglich ihren Rücktritt auf ein unbestimmtes Datum angekündigt. Macron sucht unterdessen einen Premierminister, respektive eine Premierministerin. Er bekam dabei schon zwei Absagen von angefragten Frauen.
Wann er seine neue Regierung vorstellt, ist also offen.
WAHL DES PARLAMENTS
Bereits in fünf Wochen, am 12. Juni und danach am 19. Juni, werden die Mitglieder des nationalen Parlaments Frankreichs, die «Assemblée nationale» gewählt. Es geht um 577 Abgeordnete.
Im ersten Wahlgang kann sich in jedem Wahlkreis eine unbestimmte Zahl an Kandidaten zur Wahl stellen.
Im zweiten Wahlgang kann jeder antreten, der im ersten Wahlgang mindestens 12.5% der Stimmen gemacht hat und jene Person gewinnt, die am meisten Stimmen erhält.
MACRON, LE PEN, LINKS UND DER REST
Macrons Partei heisst neu «Renaissance». Sie wird zusammen mit anderen Mitte-Parteien in jedem Wahlkreis einen Kandidaten oder Kandidaten stellen.
Die rechtsradikale und von Putin nahen Banken finanzierte Marine LePen wird in einer noch nicht bekannten Anzahl Wahlkreise antreten. Sie sieht sich im Hoch nach der recht breiten Zustimmung bei den Präsidentschaftswahlen. Eventuell wird sie von den reaktionären Kräften um Éric Zemmour unterstützt.
Schlecht sieht es für die siegesgewohnten Bürgerlichen, den «Républicains» aus. Bei den Präsidentschaftswahlen erlitt ihre Kandidatin Valérie Pécresse eine brutale Niederlage mit nur 4.78% der Stimmen. Nun sitzt die Partei auf einem Schuldenberg von 8 Millionen Euro, weil der Staat keine Wahlkampfkosten für eine Partei zurückerstattet, die weniger als 5% erreicht.
Erschwerend ist, dass der Gründer der «Républicains», der ehemalige Präsident und inzwischen vorbestrafte Nicolas Sarkozy, bei den Wahlen Macron unterstützt hatte.
Wo und wie die bürgerliche Partei antritt und ob es sie nach den Wahlen noch gibt, ist derzeit unklar.
MELENCHON: ANFÜHRER DER LINKEN
Jean-Luc Mélenchon ist als jahrzehntelanger Kämpfer der radikalen Linken im vollen Saft. Sein Alter von 70 Jahren bremst ihn nicht. Bei den Präsidentschaftswahlen erreichte der Anführer von «La France insoumise» mit 21,95% fast das Resultat von LePen.
Mit dieser Führung nahm er Kontakt mit den Kommunisten auf (1.Wahlgang: 2.28%) und den Grünen (1.Wahlgang: 4.63%). Er überzeugte sie nach tagelangen Verhandlungen von einem gemeinsamen Bündnis bei den Parlamentswahlen.
Mit den Sozialisten (1.Wahlgang: 1,75%) nahm er erst Kontakt auf, nachdem das Dreier-Bündnis «Insoumis-Grüne-Kommunisten» stand.In weiteren harten Verhandlungen überzeugte er die Sozialistische Führung von einem grossen Bündnis.
Ausgemacht wurden auch gleich die Zahl der Kandidaten, welche jede Partei stellen kann:Das Bündnis wird in 515 Wahlkreisen mit einem Einheitskandidaten antreten. Diese sind so verteilt: Insoumise: 330; Grüne: 100; Sozialisten: 70; Kommunisten: 15.
AUFSCHREI BEI DEN SOZIALISTEN
Kaum war das Verhandlungsresultat bekannt, liefen einige «Elefanten» der Sozialistischen Partei Sturm.
Die seit 1969 als «Parti Socialiste» bekannte Partei werden untergehen. Das sei das Ende der erfolgreichen Bewegung, aus deren Reihen einst François Mitterrand zweimal Frankreichs Präsident wurde. Ein ehemaliger Innenminister trat aus der Partei aus, Ex-Präsident François Hollande und die sehr erfolgreiche Regionalchefin Carole Delga warnten vor dem Bündnis mit den «Insoumise&Kommunisten», die nicht ihren Werten entsprechen.
Sie waren erfolglos. Beim nationalen Kongress der Parteidelegierten sprachen sich in der Nacht auf Freitag 167 für das Bündnis aus, 101 dagegen und 24 enthielten sich.
Die linke Zeitung «Libération» schrieb zum Entscheid: «Die Periode Hollande ist abgerechnet. Die sozial-demokratische Periode mit ihrem Entgegenkommen zum Liberalismus ist vorbei.»
Ob das die «Parti Socialiste» überlebt, ist damit nicht garantiert.