Russlands Krieg gegen die Ukraine und internationales Recht

Der Krieg von Russland gegen die Ukraine hat die Begriffe Kriegsverbrechen und Genozid (Völkermord) wieder ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gebracht. Etwas weniger gilt das für den Tatbestand der «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» oder den «Aggressionskrieg».

Was insbesondere auffällt ist, dass Staatschefs damit sehr unterschiedlich untergehen.
Da ist einerseits US-Präsident Joe Biden der immer wieder und im wörtlichen Sinn, «im Vorbeigehen» gegenüber der Presse zuerst Putin als Kriegsverbrecher und dann von Genozid geredet hat.
Auf der anderen Seit der zögerlich scheinende Emmanuel Macron, Präsident Frankreichs und des EU-Rats, der sich ausdrücklich weigert, von Genozid zu reden.
Und das ist Putin, der sich nicht angesprochen fühlt.

DAS RÖMER STATUT

Die Unterscheidung zwischen Kriegsverbrechen und Völkermord/Genozid ist recht deutlich im «Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs» definiert. (abrufbar unter https://fedlex.data.admin.ch/…/fedlex-data-admin-ch-eli…)

Als Folge der Nürnberger Prozesse gegen Führer von Nazi-Deutschland wurden die «Nürnberger Prinzipien» definiert. Auf dessen Basis wollte die «International Law Commission (ILC)» die Grundlagen für eine zentralisierte, ständige internationale Strafgerichtsbarkeit schaffen. Als eine Folge des Kalten Krieges wurde diese Arbeit unterbrochen. 1981 nahm die ILC ihre Arbeit wieder auf und legte 1994 eine rechtliche Grundlage für einen ständigen internationalen Strafgerichtshof vor.

Dieses Papier wurde bei der Konferenz in Rom, an der 160 Staaten, 33 internationale Organisationen und 236 NGOs teilnahmen, am 17. Juli 1998 unterzeichnet. In der Schlussabstimmung sprachen sich 120 Staaten für und sieben Staaten gegen dieses nun so bezeichnete «Römer Statut» aus. Der Internationale Strafgerichtshof nahm am 11. März 2003 seine Tätigkeit auf.
(Zitiert nach Luca Lehmann, Masterarbeit Uni Zürich (16-704-736), «Internationaler Strafgerichtshof: Mehr «Schock-Freisprüche» als Preis für mehr Rechtsstaatlichkeit?»

Bisher nicht ratifiziert wurde das «Römer Statut» von den Grossmächten USA, Russland, China und Indien. In der Schweiz ist das Römer Statut am 21. Juli 2021 in Kraft getreten.

«VÖLKERMORD»

Artikel 6 des Römer Statuts definiert «Völkermord». Hier der komplette Text:

«Im Sinne dieses Statuts bedeutet «Völkermord» jede der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten:
a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Vernichtung ganz oder teilweise herbeizuführen;
d) Verhängung von Massnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

«VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT»

In Artikel 7 des Römer Status steht:
«Im Sinne dieses Statuts bedeutet «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» jede der folgenden Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird:
a) vorsätzliche Tötung;
b) Ausrottung;
c) Versklavung;
d) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung;
e) Freiheitsentzug oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoss gegen die Grundregeln des Völkerrechts;
f) Folter;
g) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere;
h) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen oder Gründen des Geschlechts.

Im Artikel 7 werden die einzelnen Tatbestände nachfolgend präzisiert, worauf ich hier verzichte.
Erwähnt sei nur die Definition von «b.) Ausrottung» im Zusammenhang mit der Situation in Mariupol, wo vermutete 100’000 Menschen die Stadt nicht verlassen können. Das Römer Statut nennt unter Ausrottung: «die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten –, die geeignet sind, die Vernichtung eines Teiles der Bevölkerung herbeizuführen»;

«KRIEGSVERBRECHEN»

Artikel 8 definiert Kriegsverbrechen:A) schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949, nämlich jede der folgenden Handlungen gegen die nach dem jeweiligen Genfer Abkommen geschützten Personen oder Güter:
i) vorsätzliche Tötung;
ii) Folter oder unmenschliche Behandlung einschliesslich biologischer Versuche;
iii) vorsätzliche Verursachung grosser Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit;
iv) Zerstörung und Aneignung von Gut in grossem Ausmass, die durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigt sind und rechtswidrig und willkürlich vorgenommen werden;
v) Nötigung eines Kriegsgefangenen oder einer anderen geschützten Person zur Dienstleistung in den Streitkräften einer feindlichen Macht;
vi) vorsätzlicher Entzug des Rechts eines Kriegsgefangenen oder einer anderen geschützten Person auf ein unparteiisches ordentliches Gerichtsverfahren;
vii) rechtswidrige Vertreibung oder Überführung oder rechtswidrige Gefangenhaltung;
viii) Geiselnahme;

B) andere schwere Verstösse gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche, nämlich jede der folgenden Handlungen:
i) vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche oder auf einzelne Zivilpersonen, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen;
ii) vorsätzliche Angriffe auf zivile Objekte, das heisst auf Objekte, die nicht militärische Ziele sind;
iii) vorsätzliche Angriffe auf Personal, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge, die an einer humanitären Hilfsmission oder friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt sind, solange sie Anspruch auf den Schutz haben, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem internationalen Recht des bewaffneten Konflikts gewährt wird;
iv) vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen;
v) der Angriff auf unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, die nicht militärische Ziele sind, oder deren Beschiessung, gleichviel mit welchen Mitteln;
vi) die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Kombattanten, der sich auf Gnade oder Ungnade ergeben hat;
vii) der Missbrauch der Parlamentärflagge, der Flagge oder der militärischen Abzeichen oder der Uniform des Feindes oder der Vereinten Nationen sowie der Schutzzeichen der Genfer Abkommen, wodurch Tod oder schwere Verletzungen verursacht werden;
viii) die unmittelbare oder mittelbare Überführung durch die Besatzungsmacht eines Teiles ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet oder die Vertreibung oder Überführung der Gesamtheit oder eines Teiles der Bevölkerung des besetzten Gebiets innerhalb desselben oder aus diesem Gebiet;
ix) vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, auf geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, sofern es nicht militärische Ziele sind;
x) die körperliche Verstümmelung von Personen, die sich in der Gewalt einer gegnerischen Partei befinden, oder die Vornahme medizinischer oder wissenschaftlicher Versuche jeder Art an diesen Personen, die nicht durch deren ärztliche, zahnärztliche oder Krankenhausbehandlung gerechtfertigt sind oder in ihrem Interesse durchgeführt werden und die zu ihrem Tod führen oder ihre Gesundheit ernsthaft gefährden;
xi) die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres;
xii) die Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird;
xiii) die Zerstörung oder Beschlagnahme feindlichen Guts, sofern diese nicht durch die Erfordernisse des Krieges zwingend geboten ist;
xiv) die Erklärung, dass Rechte und Forderungen von Angehörigen der Gegenpartei aufgehoben, zeitweilig ausgesetzt oder vor Gericht nicht einklagbar sind;
xv) der Zwang gegen Angehörige der Gegenpartei, an den Kriegshandlungen gegen ihr eigenes Land teilzunehmen, selbst wenn sie bereits vor Ausbruch des Krieges im Dienst des Kriegführenden standen;
xvi) die Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung, selbst wenn sie im Sturm genommen wurde;xvii) die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen;
xviii) die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen;
xix) die Verwendung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken, beispielsweise Geschosse mit einem harten Mantel, der den Kern nicht ganz umschliesst oder mit Einschnitten versehen ist;
xx) die Verwendung von Waffen, Geschossen, Stoffen und Methoden der Kriegführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen, oder die unter Verstoss gegen das internationale Recht des bewaffneten Konflikts ihrer Natur nach unterschiedslos wirken, vorausgesetzt, dass diese Waffen, Geschosse, Stoffe und Methoden der Kriegführung Gegenstand eines umfassenden Verbots sind;
xxi) die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere eine entwürdigende und erniedrigende Behandlung;
xxii) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe f, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls eine schwere Verletzung der Genfer Abkommen darstellt;
xxiii) die Benutzung der Anwesenheit einer Zivilperson oder einer anderen geschützten Person, um Kampfhandlungen von gewissen Punkten, Gebieten oder Streitkräften fern zu halten;
xxiv) vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, Material, Sanitätseinheiten, Sanitätstransportmittel und Personal, die in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen versehen sind;
xxv) das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegführung durch das Vorenthalten der für sie lebensnotwendigen Gegenstände, einschliesslich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen, wie sie nach den Genfer Abkommen vorgesehen sind;
xxvi) die Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in die nationalen Streitkräfte oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten;

Unter «C» folgen dann weitere Definitionen von Kriegsverbrechen bei Kriegen «die keinen internationalen Charakter» haben, was beim Krieg von Russland gegen die souveräne Ukraine nicht der Fall ist.

«VERBRECHEN DER AGGRESSION»

Im Artikel 8bis des Römer Status wird ein weiterer Punkt behandelt, der auf den Krieg gegen die Ukraine zutrifft.

«1. Im Sinne dieses Statuts bedeutet «Verbrechen der Aggression» die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 194521 darstellt, durch eine Person, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken.

2. Im Sinne des Absatzes 1 bedeutet «Angriffshandlung» die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen anderen Staat.»Hier folgen noch weitere Definitionen, auf deren Zitierung ich verzichte. (Original als Download gratis abrufbar: https://fedlex.data.admin.ch/…/fedlex-data-admin-ch-eli…)

WAS GILT FÜR PUTIN UND RUSSLAND?

Wer dies einzelnen Punkte durchliest und mit den verfügbaren Nachrichten vergleicht, der kommt rasch zum Schluss, dass mit dem Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine viele Tatbestände des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Kriegsverbrechen und des Verbrechens der Aggression erfüllt sind.

Die juristische Prüfung und die Eröffnung eines Prozesses gegen Putin und seine Mittäter ist Sache des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH oder ICC), besser bekannt als «Haager Tribunal».

Der oberste Ankläger heisst Karim Ahmad Khan (https://de.wikipedia.org/wiki/Karim_Ahmad_Khan). Er war letzte Woche in der Ukraine vor Ort und hat sich dort informiert.

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