Frankreichs Justiz-Minister: «Le Pen ist eine Lügnerin und inkompetent»

Éric Dupond-Moretti ist ein französischer Rechtsanwalt und parteiloser Politiker. Als Strafverteidiger ist er für eine hohe Zahl an Freisprüchen für seine Mandanten bekannt. Seit Juli 2020 ist er Justizminister von Frankreich. In einem Interview mit dem französischen Journal du Dimanche (https://www.lejdd.fr/) redet der Justizminister Klartext zur Rolle von Marine Le Pen, der Parteichefin des rechtsextremen «Rassemblement National», besser bekannt als «Front National».

JDD: Gemäss unserer Umfrage (Umfrage bei 3043 Personen, im Alter ab 18 Jahren) beurteilen 58% der Franzosen das Rassemblement National (RN, früher Front National) als «gefährlich für die Demokratie» und 62% sagen, dass «RN eine rassistische Partei» sei. Und Sie?

Eric Dupont-Moretti: Ja. RN hat eine Geschichte und diese vergesse ich nicht. Sie ist die Fortsetzung der Linie Maurras (rechtsextremer französischer Schriftsteller) und von Vichy (Frankreichs Kollaborationsregierung mit den Nazis von 1940-1944). Sie befindet sich in einem Umfeld, dass man Faschosphäre nennt; RN unterstützt die Identitären, was nichts anderes als Separatisten sind.
Madame Le Pen tanzt in Österreich mit den Schlimmsten der extremen Rechten Europas, sie verbindet sich mit den allerhärtesten Nationalisten.
Ich will das entlarven, denn unsere DNA sind symmetrisch gegensätzlich. Aber ich bin mir bewusst, dass dies allein nicht genügt. Um RN zu schlagen, muss man ihn bekämpfen.

Wie stellen Sie sich diesen «Kampf» vor?

Ich werde Madame Le Pen begegnen, indem ich die Wahrheit gegen die Lüge stelle. Die traditionellen Parteien haben sich verabschiedet, die Rechte rennt dem RN hinterher und die Linke tut so, wie wenn das alles kein Problem wäre. Gewisse Medien verharmlosten bisher die populistischen Aussagen.
Ich kann bei alldem nicht mitmachen. Ich arbeitete 36 Jahre als Advokat und habe mich dabei immer direkt an die Geschworenen gerichtet, um sie zu überzeugen. Damit werde ich fortfahren, um Punkt für Punkt aufzuzeigen, dass das Projekt des RN ein Betrug ist.

Aber Sie sagen selbst, dass sie sich weigern, mit Ihnen zu debattieren. Wie wollen Sie dem RN entgegentreten?

Frau Le Pen zitiert mich jeweils lange in Ihren Reden, aber verweigert eigenartigerweise die Debatte. Ich begegne Ihr nur im Parlament, wo sie jeweils zwei Minuten lange bleibt, ihre Rede hält und gleich wieder abhaut. Sie ist ständig auf der Flucht! Ich verstehe, dass sie im Hinblick auf eine Debatte beunruhigt ist.  Ihr Versuch sich selber zu «Ent-Diabolisieren» ist reine Kosmetik. Sie versteckt ihre wahren Absichten, dabei gibt es viele wichtige Probleme, die gelöst werden müssen.
Ich verstehe die Ängstlichkeit der Franzosen bezüglich all der Fragen, die mit ihrer Sicherheit und mit ihrer Freiheit zu tun haben. Darauf möchte ich konkrete Antworten geben.

Gerald Darmanin (Innenminister) warf letzthin bei einer TV-Debatte Frau Le Pen vor, sie sei «weich beim Separatismus («Separatismus» bedeutet hier: Wie sollen verschiedene Volksgruppen in Frankreich zusammenleben). Sie sind damit kaum einverstanden…

Jeder sagt es mit seinen eigenen Worten, mit seiner eigenen Sensibilität. Ich ziehe es vor, zu sagen: Sie ist eine Lügnerin und inkompetent. Im Rahmen dieser Sendung, waren alle Zahlen, die sie bezüglich Kriminalität und Immigration nannte, falsch. Das ist doch ein Problem, nicht?
Man kann sich immer bei Zahlen täuschen, aber sie ist schon seit langer Zeit von diesem Thema besessen und darum sollte sie wirklich die richtigen Zahlen kennen! Auch ihre Lösungsvorschläge sind abwegig. Sie behauptet, sie werde ausländische Straftäter in ihre Heimatländer zurückschicken. Wenn man ihr entgegnet, dass die betroffenen Länder damit nicht einverstanden sind, dann sagt Le Pen einfach: «Ich werde sie überzeugen». Als ob das vor ihr nicht schon Andere versucht hätten!
Zu Europa hat sie jahrelang einen «Frexit» versprochen. Als sie realisierte, dass die Franzosen das nicht wollen, hat sie es aus ihrem Programm gestrichen. Aber wenn sie – unglücklicherweise – gewählt würde, was würde sie dann wirklich tun?
Die Frage ist: Was denkt Le Pen wirklich? In der Wirtschaft verspricht sie ein grosses nationales Darlehensprogramm mit 2% Zins; dabei werden heute Darlehen negativ verzinst!
Sie strebt das höchste Amt im Staat an, aber sie arbeitet nicht und lügt ohne Pause.

RN wirft der Justiz «Laschheit» vor und gemäss unserer Umfrage auch viele Franzosen. Was antworten Sie?

Die Franzosen müssen verstehen, dass in einer Demokratie weder der Justizminister noch der Präsident der Republik den Richtern vorschreiben kann, welche Urteile sie zu fällen haben.
Was ich tun kann, ist die Effizienz und die Geschwindigkeit der Justiz zu erhöhen. Ich habe die Anzahl der Gerichtsmitarbeiter um 1’000 Personen erhöht und die Zahl der Delegierten der Staatsanwälte verdoppelt, also jener Mitarbeiter, die sich um die Kleinkriminalität kümmern, die das Leben der Menschen ruinieren.
Wir werden bald mehr als 9’000 Richter haben, soviel wie noch nie bisher. Dafür schlug ich ein Budget vor, welches 8% höher als das alte war. Niemand tat in den letzten 25 Jahren vergleichbares und Frau Le Pen nahm an der Abstimmung nicht teil.

In einem Jahr sind Präsidentschaftswahlen. Man hört nun öfters, dass linke Wähler sich weigern, im Falle eines Duells Macron – Le Pen Stellung zu beziehen. Was sagen Sie dazu?

Hilfe! 2015 war ich bei den Regionalwahlen davon angewidert, dass sich ein Teil der Rechten für eine Position des «Weder-Noch» entschied und die Sozialistische Partei und die Front National Rücken an Rücken in das Duell schickte.
Ich bin verblüfft, dass sich ein Teil der Linken nun für ein «Weder-Noch» ausspricht. Sich nicht zu entscheiden, bedeutet, Komplize zu sein.

Werden Sie bei der Präsidenten-Kampagne eine Rolle spielen?

Wenn der Präsident zur Wiederwahl antritt und er mich fragt, dann habe ich Lust, ihm zu helfen. Wir haben eine gute Bilanz zu verteidigen. Ich unterstütze Emanuel Macron oder niemanden.

Könnten Sie bei einer Wahl unter dem Label «präsidiale Mehrheit» kandidieren?

Ich schließe nichts mehr aus. Ich hatte mal gesagt, dass ich niemals Justizminister werden würde; als ich ernannt wurde, haben mich alle freundlich daran erinnert… Ich war nie Mitglied einer Clique, ich bin kein Salon Minister, ich war immer vor Ort. Ich will kämpfen.

(Übersetzung und Klammerbemerkungen von mir)

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