Man darf als Publizist einen Standpunkt einnehmen und einseitig berichten. Dafür gibt es den Begriff «anwaltschaftlichen Journalismus». In der Dokumentarfilm-Geschichte gibt es dafür grosse Namen wie Niklaus Meienberg/Richard Dindo («Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S») über die Schweizer Militärjustiz, Michael Moore («Roger & me») über den wirtschaftlichen Niedergang der Autostadt Flint in Michigan oder den diesen Monat erschienenen Dokfilm «Un pays qui se tient sage» von David Dufresne über die Gewalt von Polizisten gegen Gilets Jaunes.
Als «anwaltschaftlicher Dokumentarfilm» möchte «Unerhört» von Reto Brennwald in diesen Fussstapfen gehen. Soviel vorab: Er füllt sie nicht aus.
Bei den mit Bakom-Geldern subventionierten SRG- oder Regional-Sendern geht anwaltschaftlicher Journalismus nicht. Diese sind, weil staatlich Co-finanziert, zur Ausgewogenheit verpflichtet. Private Medien wie Zeitungen oder Video-Produzenten können diese Einschränkung ignorieren.
Reto Brennwald hat mit seinem privat finanzierten Werk einen Standpunkt eingenommen. Offiziell und mit eigenem Namen zum Beispiel auf Facebook äussert er Kritik an den Corona-Massnahmen. Offiziell und mit eigenem Namen steht er nicht ein für den grundsätzlichen Zweifel an der Gefährlichkeit von Corona. Dazu lässt er in seiner Dokumentation Andere auftreten. Diese Zwitterstellung des Autors macht den Film etwas schwierig.
Dem Film wird vorgeworfen, dass fast nur Corona-Skeptiker und Massnahmen-Kritiker auftreten. Die Information stimmt, als Vorwurf teile ich das nicht.
Die Liste der Nicht-Kritiker ist kurz: Vier Passanten, die eine Maske vor dem Gesicht, respektive dem Hals tragen, der Ex-Covid-Patient Giancarlo Cattaneo und der Pathologe Alexandar Tzankov, der bei Opfern gravierende Lungenschäden festgestellt hat. Und dann hat der Ex-BAG Chef Daniel Koch mehrere Auftritte, teils in Form von Archivaufnahmen, teils in Interviews. Zu sehen sind vor allem Aussagen, in denen er die getroffenen Massnahmen nur halbbatzig verteidigt. Ob sich Koch damit genügend repräsentiert fühlt, ist nicht klar.
Die Liste der Corona-Skeptiker und Corona-Massnahmen-Kritiker und deren Sendezeit ist um ein Vielfaches länger. Präsentiert werden Betroffene, ein paar Oppositionelle sowie Ärzte mit Schwerpunkt Allgemeinmedizin, Gefässchirurgie oder Mikrobiologie, die bisher nicht öffentlich auftraten.
Als Schwergewichte treten die beiden Wissenschaftler Beda Stadler und Pietro Vernazza auf sowie der Chemie-Nobelpreis-Träger Michel Levitt aus Südafrika, der an der renommierten Standford Universität arbeitet. Im weiteren äussert sich der Staatsrechtler Zürcher Andreas Kley. Einen Namen gemacht hat sich auch der im Film gezeigte Komiker Marco Rima. Sie alle geben ihre Sicht der Dinge und ihren Wissensstand unhinterfragt weiter.
Wenn es um Bewirtschaftung von Emotionen geht, dann funktioniert der Film. Das ist der Fall bei der verängstigten Frau, die ihren Schwiegervater aus dem Spital befreien wollte, bei der Tochter einer alten Frau, welche sie via Skype im Altersheim plötzlich im Rollstuhl sieht oder beim Freund eines betroffenen Mannes, dessen Frau sich verzweifelt aus dem Fenster eines Pflegeheim stürzte.
Unterlegt mit Fremdgeräuschen wie drohender Brummton bei Grafiken, eigenartiges Zirpen vor dem Auftritt des BAG Chefs oder Trauermusik beim Selbstmord im Pflegeheim wird versucht das drohende oder geschehene Unheil zu verstärken.
Emotional funktioniert der Film weitgehend, doch wenn es um Journalismus geht, scheitert Reto Brennwald. Die überprüfbaren Fakten sind teilweise falsch, selektiv gewählt oder manipulativ eingesetzt. Eine Grafik zu zeigen oder eine Aussage zu zitieren sind probate Mittel, um Glaubwürdigkeit herzustellen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Informationen und Zitate korrekt sind. Ein paar journalistische Mängel habe ich hier aufgezeigt:
https://www.facebook.com/mario.aldrovandi/posts/4709605715778847
https://www.facebook.com/mario.aldrovandi/posts/4711881575551261
https://www.facebook.com/mario.aldrovandi/posts/4713165458756206
https://www.facebook.com/mario.aldrovandi/posts/4716055518467200
(Alle Texte gibt es am Ende dieses Artikels). Warum so detailliert, wurde ich gefragt. Die Antwort: So ist die Kritik überprüfbar.
Inhaltlich schwach ist es, wenn der Film von über einer Stunde Länge als wirtschaftlich Betroffenen lediglich einen Hotelier zeigt, der Ende Oktober seinen Betrieb schliesst. Auch fehlen wirkliche Enthüllungen, die den bisherigen Wissensstand erweitern.
Zu befürchten war, dass «Unerhört» zu einem Dia-Abend des Corona-Widerstands würde, nach dessen Betrachtung sich die Militanten gegenseitig auf die Schulter klopfen. Reto hat diese Klippe weitgehend umschifft. Er hat ein Zeitdokument aus seiner Optik abgeliefert.
Vom Macher-Standpunkt aus, ist der Film gut gemacht. Die Interview-Settings mit verschiedenen Kameraeinstellungen und unscharfem Hintergrund erfüllen Profi-Standards. Die verwendeten Bilder ausserhalb der Interviews sind allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität, weil von unterschiedlichen Filmern.
Die Montage der Sequenzen durch Reto Rechsteiner (alte TeleZüri Schule) ist gewohnt gekonnt. Der Einsatz dramatisierender Töne ist bei einem anwaltschaftlichen Film erlaubt. Verwirrend sind teilweise die Ortssprünge oder die zu spät erklärten Auftritte von Protagonisten.
Der Off-Kommentar erleichtert das Verständnis, ohne dass er allzu klar Haltung zeigt. Nur manchmal drückt er mit dem ironisierenden Tonfall etwas gar fest auf die Betroffenheits-Tube. Dass Reto Brennwald die Arbeit und das finanzielle Risiko auf sich genommen hat, ist lobenswert.
«Unerhört» hatte seine Premiere in einer Eventhalle und ist auf der Video-Plattform Vimeo zu sehen. Ein breites Publikum würde erreicht mit einer Ausstrahlung im Schweizer Fernsehen oder auf einem der Sender der Wanner-Gruppe (3+, 4+, S1, Regionalsender etc.). Ich habe Reto zweimal schriftlich gefragt, ober er den Film diesen Sendern angeboten hat, erhielt aber keine Antwort.
Denkbar wäre, dass der Film beim Schweizer Fernsehen gezeigt und mit einer Studiodiskussion bereichert würde. Reto müsste dafür den Film aber in den kritisierten Teilen journalistisch überarbeiten.
Dass der Film ein Zeitdokument ist, das von der aktuellen Entwicklung teilweise eingeholt wird, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Er zeigt tatsächlich nur Teilwahrheiten. Das tun andere TV-Berichte auch, ohne dass dies vertieft diskutiert wird.
Ich würde es begrüssen, wenn der Film breit gezeigt und diskutiert würde, denn Konfrontationen mit unterschiedlichen Wahrheiten und Debatten sind Ausdruck demokratischer Reife.
Detalkritiken an journalistischen Fehlleistungen
Der Film «Unerhört» ist aktuell auf Vimeo (https://vimeo.com/471959768… zu sehen. Das hat den Vorteil, dass man einzelne Sequenzen in aller Ruhe ansehen
DAS ANGEBLICH FALSCHE COMPUTERMODELL
Zwischen der Minute 11:51 und 12:18 geht es um angeblich falsche Prognosen beim Ausbruch der Covid-19-Krise.
Fakt1: Off-Kommentar 1 von Reto Brennwald bei Minute 11:51: «Als aus Wuhan eintrafen, alarmierten uns die Experten mit ihren Modellrechnungen. Einen grossen Einfluss auf die globale Politik hatte Neil Ferguson vom Londoner Imperial College.»
Fakt2: Grafik 1 12:06 : «Neil Fergusons Modell könnte der grösste Softwarefehler aller Zeiten sein» (outline.com)
Fakt3: Grafik 2: «Der Code, der zum Lockdown führte, war “völlig unzuverlässig”. (The Telegraph)
Fakt4: Grafik 3: «Wie falsch waren die Modelle und weshalb?» (American Institute for Economic Research)
Fakt5: Off-Kommentar 2 von Reto Brennwald: Später wurde er dafür kritisiert, dass seine Software miserabel gewesen sei.»FAKTEN-CHECK 1: Diese Information trifft zu. Professor Ferguson hat ab 2005 ein Computermodell für Pandemien entwickelt, dessen Ergebnisse er mit seinem Team unter den Namen CovidSim dem britischen Premierminister Boris Johnson vorstellte. Er sagte darin, den Tod von 500’000 in Grossbritanien und 2.2 Millionen Menschen in den USA voraus, wenn nichts unternommen wird. Nach einigem Zögern verhängte die britische Regierung im März das sogenannte Lockdown.
Am 5. Mai trat Ferguson von seinem Posten als Regierungsberater zurück, weil ihn seine Freundin während des Lockdowns zweimal bei ihm zuhause besuchte und dies bekannt wurde.
Fakten-Check 1: Der Satz ist korrekt.
Fakten-Check 2 und 3: Die beiden Schlagzeilen stammen von «The Telegraph», einer britischen Tageszeitung und beziehen sich ausdrücklich auf den Lockdown in Grossbritanien. Sie erschienen am 16. Mai 2020. https://www.telegraph.co.uk/…/coding-led-lockdown…/«outline.com» ist keine Quelle, sondern eine Programmerweiterung für Browser.
Fakten-Check4: Das «American Institute for Economic Research», ist auch unter dem Kürzel AIER bekannt. Es ist ein sogenannter «libertärer» Think Tank, nicht zu verwechseln mit «liberal». Das AIER machte sich in den letzten Jahren einen Namen, in dem sie die Risiken des Klimawandels als geringfügig und überschaubar bezeichnete. Zwei Artikel-Beispiele: «Die wahren Gründe, warum niemand die Klimaaktivisten ernst nimmt» oder «Brasilianer sollten ihren Regenwald weiter zerschneiden».
Fakten-Check5: Die Zeitungs-Behauptung, dass die Software von Neil Ferguson nichts tauge, wurde von verschiedenen Wissenschaftlern untersucht. Am wichtigsten dürfte das Urteil von www.nature.com sein. Die Zeitschrift schrieb in einem Leitartikel am 8.Juni 2020 (https://www.nature.com/articles/d41586-020-01685-y), dass die CovidSim-Codebasis den Anforderungen der wissenschaftlichen Reproduzierbarkeit entspricht.
Zur Kritik schrieb die Zeitschrift: «Natur hat nun festgestellt, dass diese aus dem Zusammenhang gerissen wurden.» Nature.com erscheint wöchentlich seit 1869 in England. Wikipedia: «Nature war im Jahr 2014 die weltweit am meisten zitierte interdisziplinäre Fachzeitschrift. Sie ist neben der US-amerikanischen Science die weltweit angesehenste Zeitschrift für Naturwissenschaften.»
ANGEBLICH UNGEHÖRTE NOBELPREIS-TRÄGER
Fakten: Im Film wird bei Minute 12:51 gesagt, dass der Chemiker und Biophysiker Michel Levitt, aufgrund seiner Untersuchung des Covid-Ausbruchs auf dem Schiff «Diamant Price» im Februar auf eine viel tiefere Opferprognose gekommen sei, als Neil Ferguson vom Imperial College in London.
Michel Levitt sagt: «Die Prognose lautete eine halbe Million Tote für England und 2.2 Millionen Tote für die USA. Ich kam auf etwa 10 mal tiefere Zahlen.».
Fakten-Check: Die Ferguson-Prognosen für England und die USA sind korrekt wiedergegeben. Und Michel Levitt traf mit seiner Prognose den Nagel auf den Kopf, welches er anhand des Schiffs gemacht hatte. Tatsächlich starben rund 10 mal weniger Menschen an Covid-19 in den beiden Ländern. Aktuell sind es in den USA 225’000 Tote und in Grossbritanien 45’000.Was im Film aber unterschlagen wird: Die Prognosen von Ferguson galten für den Fall, dass nichts gemacht wird.
ETHIKKOMMISSION UND ALTERSHEIME
Von Minute 15:59 – 16:12 zeigt der Film drei Videosequenzen aus einem nicht näher definierten Altersheim. Auf der Kommentarebene sagt Reto Brennwald wörtlich: «Das Besuchsverbot war laut der nationalen Ethikkommission eine massive Einschränkung der Grundrechte der Bewohner. Die Massnahmen unverhältnismässig.»
Die Fakten: Die nationale Ethikkomission hatte am 27.März 2020, also mitten im Lockdown eine erste Medienmitteilung versandt.(https://www.nek-cne.admin.ch/…/NEK_Stellungnahme_Schutz…).Die Kommission schrieb: «Sie ist überzeugt, dass es in der aktuellen Situation überaus sorgfältig abzuwägen gilt zwischen dem Schutz der Gesundheit einerseits und den Langzeitfolgen auch gesundheitlicher Natur, die aufgrund der mit den getroffenen Massnahmen einhergehenden wirtschaftlichen Schäden namentlich die Schwächsten der Gesellschaft treffen könnten, andererseits. Im Sinne dieser Abwägung richtet die NEK den dringlichen Appell an die Bevölkerung der Schweiz, den angeordneten Massnahmen Folge zu leisten.»
Am 29. April 2020 verfügte der Bundesrat Lockerungen für Alters- und Pflegeheime. Daraufhin äusserte sich die Nationale Ethikkommission am 8.Mai 2020 in einer 15seitigen Stellungnahme https://www.nek-cne.admin.ch/…/NEK_Stellungnahme_Schutz… und in einer kürzeren Medienmitteilung https://www.nek-cne.admin.ch/…/Medienmitteilung_NEK…In der Medienmitteilung schrieb sie: Die «Fragen betreffend die Zweckdienlichkeit, die Verhältnismässigkeit und die Konsequenzen eines Besuchs- und Ausgehverbots behalten jedoch ihre Aktualität (…) Die NEK erachtet die Aufhebung des Besuchsverbots als dringlich und begrüsst die entsprechenden Schritte der verantwortlichen kantonalen Behörden und der einzelnen Institutionen, die zur Wahrung der Rechtsgüter der Betroffenen und der Verhältnismässigkeit notwendig sind.» Schliesslich schreibt die Kommission: «Es sind kreative Lösungen gefragt, um einerseits den bestmöglichen Infektionsschutz zu bieten, andererseits aber Grundrechte zu gewährleisten.»
Im längeren Dokument schreibt die Ethikkomission etwas schärfer: Man müsse nun den Blick richten auf «Institutionen der Langzeitpflege, denen massive Einschränkungen ihrer Grundrechte zugemutet wurden.». Die Kommission schreibt: «Einige Massnahmen im Rahmen von COVID-19, die das Ziel des Gesundheitsschutzes verfolgen, verletzen jedoch die Persönlichkeitsrechte.» Zu klären seien «Die Fragen betreffend die Zweckdienlichkeit, die Verhältnismässigkeit und die Konsequenzen eines Besuchs- und Ausgehverbots.» Notwendig sei eine «regelmässige Überprüfung der Verhältnismässigkeit der Massnahmen». Weder in der Pressemitteilung noch im Gutachten werden bisherige Massnahmen als «unverhältnismässig» oder «nicht verhältnismässig» bezeichnet.
Reto Brennwald macht daraus die folgenden zwei Sätze: «Das Besuchsverbot war laut der nationalen Ethikkommission eine massive Einschränkung der Grundrechte der Bewohner. Die Massnahmen unverhältnismässig.»
ANGEBLICHE SKANDALE
Reto Brennwald skandalisiert in seinem Film «Unerhört», wo es keinen Skandal gibt. So nimmt er eine SDA-Meldung vom 16. Juli über eine angebliche Knappheit von Intensiv-Betten von Ende April zum Anlass, um über den «Medien-Alarm» zu referieren.
Im Film sieht das so aus: In einer Grafik wird bei Minute 22:40 nacheinander eingeblendet:– «Spitäler an der Grenze der Belastung – SDA im Juli 2020»– «Höchstbelastung der Intensivbeten in der Schweiz bei 98% – NAU im Juli 2020»– «Praktisch keine freien Intensivbetten im April – TopOnline im Juli 2020»– «Spitäler an der Grenze der Belastung – SDA im Juli 2020»– «Freie Betten auf Intensivstationen waren im April Mangelware – Aargauer Zeitung». Der Off-Kommentar dazu: ««Trotzdem schrieben die Medien noch im Juli, dass das System phasenweise an der Grenze gewesen sei. Wie war das möglich?»
Faktencheck:
— Alle Schlagzeilen sind korrekt wiedergegeben.
— Was auffällt, ist dass die identische SDA Schlagzeile an Position 1 und 4, also zweimal genannt wird.
— Weiter fällt auf, dass nicht ein präzises Datum genannt wird, sondern durchgehend «Juli 2020»
— Tatsächlich sind alle diese Artikel am gleichen Tag, am 16. Juli 2020 erschienen.
— Basis für diese Artikel war eine einzige Meldung der SDA (Schweizerische Depeschenagentur), welche von vielen Medien übernommen wurde.
— Wer sich für die Medienlandschaft Schweiz interessiert, der weiss, dass die SDA ein Stofflieferant für viele Medien in der Schweiz ist und dass dessen Nachrichten oft ohne Änderung übernommen werden (Siehe Artikel: https://www.facebook.com/mario.aldrovandi/posts/4713118782094207
–Basis für den SDA Artikel war eine Medienmitteilung der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin. Das für medizinische Fragen wichtige Portal www.medininside.ch hat die ganze Geschichte, inklusive Verwirrung aufgearbeitet. https://www.medinside.ch/…/statistiken-zu…
Als Zuschauer des Films «Unerhört» versteht man das Ganze nicht. Hier bleibt lediglich der Eindruck hängen, dass verschiedene Medien zu verschiedenen Zeitpunkten völlig irre Angaben, eben angeblich einen «Medien-Alarm» produziert haben. Es hätte genügt, wenn der Autor die Daten und die Herkunft der Geschichte ohne Firlefanz offen gelegt hätte. Das war offensichtlich nicht beabsichtigt.
MANIPULATIONEN
In «Unerhört» (sichtbar auf Vimeo) kommentiert Reto Brennwald bei Minute 39:52: «8 Wochen lang dauerte der Schweizweite Lockdown. War er nötig?»
Danach können der Immunologe Pietro Vernazza und der Arzt Martin Haditsch ausführen, dass der Reproduktionswert der Infektion bereits vor dem Lockdown am Sinken war und der Lockdown zum Vermeiden menschlicher Schäden nicht nötig.
Ex-BAG Chef Daniel Koch sagt: «Vielleicht war nicht der Lockdown das einzige, was den Ausschlag gab» und stellte die These auf, dass möglicherweise die Absage der Basler Fasnacht einen grossen Einfluss auf das Verhalten der Leute gehabt habe.Bei allen drei Interviewpassagen geht es um den Schweizer Lockdown.
Anschliessend an diese Aussagen folgt, unterlegt von einem Alarmton, eine Grafik, angeschrieben mit «Medien-Alarm» und nacheinander diesen drei Texten:— «Lockdown verhindert 3 Millionen Todesfälle / Telebasel Juni 2020»
— «Schweizer Lockdown hat 52’000 Todesfälle verhindert – Tagesanzeiger Juni 2020»
— «Studien: Massnahmen gegen Corona verhindern viele Tote – NAU Juni 2020»Reto Brennwald kommentiert dazu: «Lässt sich die These belegen, dass der Lockdown viele Tote verhindert hat?» Die Frage am Anfang, die Interviews, die Grafik und der Kommentar von Brennwald erwecken den Eindruck, es handle sich um Schlagzeilen zum Schweizer Lockdown.FAKTENCHECK— Die drei Schlagzeilen und die Quellen sind korrekt zitiert
— Wieder (wie beim Film an anderer Stelle, siehe hier: https://www.facebook.com/mario.aldrovandi/posts/4713165458756206) wird kein genaues Datum angegeben und das hat den gleichen Grund:
— Am 8.6.2020 veröffentlichte NAU eine Nachricht. Basis war eine Meldung der Deutschen Presseagentur – DPA mit Vermerk «Grossbritanien/USA» vom selben Tag. DPA und NAU berichteten über zwei Studien. Eine Untersuchung des Imperial College in London, welches sich auf die EU Staaten bezog und eine zweite Studie der UC Berkley, welche den Infektionsverlauf in China, Südkorea, Italien, Iran, Frankreich und den USA analysiert hatte. Im NAU-Artikel wird eine relativierende Stellungnahme der Uni Freiburg eingebaut.
— Am 10.6.2020 schreibt TeleBasel eine Textnachricht unter «International», die sich ebenfalls auf die DPA und die Studie aus London bezog. Diese hatte, wie bei der NAU, keinen Bezug zur Schweiz.
— Am 11.6.2020 publiziert der Tagesanzeiger einen Artikel, der sich ebenfalls auf die Londoner Studie bezieht. Sie wurde ergänzt mit Aussagen der ETH Zürich, welche die Schweizer Lockdown-Zahlen beisteuerte.FAZITEs wurden 2 Schlagzeilen zum internationalen Lockdown veröffentlicht ohne Bezug zum Lockdown in der Schweiz. Lediglich der Tagesanzeiger liefert ergänzende Zahlen zum helvetischen Lockdown.
«Unerhört» verschweigt, dass es sich um ein und dieselbe Studie handelt und dass sich diese auf viele Länder, aber nicht auf die Schweiz bezogen. Ein solcher Umgang mit Informationen ist manipulativ.